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Pressemitteilung 142/24 - 19.12.2024

?Es genügt, wenn ich den anderen nach dem Streit ein bisschen besser verstehe“

Interview mit Streitforscher Dr. Christian Boeser

Im Interview erkl?rt Streitforscher Dr. Christian Boeser von der Universit?t Augsburg, warum Streit eine wichtige Rolle für die Gesellschaft spielt – und gibt Tipps, wie man gutes Streiten lernen kann.
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Welche Rolle spielt der Streit in unserer Gesellschaft?

Dr. Christian Boeser: Die grunds?tzliche Problematik ist: Wir müssen streiten, damit unsere Gesellschaft funktioniert. Gleichzeitig ist Streit oftmals negativ konnotiert. Dies h?ngt damit zusammen, dass viele Menschen Angst vor feindseligem Streit haben und Streit deshalb lieber vermeiden. Wenn man Streit jedoch dauerhaft vermeidet, erh?ht sich die Wahrscheinlichkeit, dass man irgendwann platzt und es dann zu einem feindseligen Streit kommt.

Dies haben wir auch in einer Bürgerbefragung herausgefunden, die ich mit Studierenden durchgeführt habe: 50 Bürgerinnen und Bürger wurden befragt, was sie über Streit denken. Es wurde ein Gedankenexperiment durchgeführt zu der Frage, was passieren würde, wenn wir gar nicht mehr streiten und was passieren würde, wenn nur noch feindselig gestritten werden würde.

Foto: Andreas Keilholz

Interessant ist, dass die Streitvermeidung zu den gleichen Effekten führen würde wie das Szenario, wenn man nur noch feindselig streitet – beide Szenarien machen auf Dauer unzufrieden, verhindern Kreativit?t, sch?digen soziale Beziehungen und schw?chen den Zusammenhalt in der Gesellschaft.
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Würden Sie sagen, Streiten ist wichtig?

Boeser: Unbedingt! Sowohl privat als auch beruflich und gesamtgesellschaftlich. Das würde sonst nicht lange gut gehen.
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Wie geht das – richtig streiten?

Boeser: Diese Frage haben wir in unseren Interviews auch gestellt, und es gibt dazu sehr unterschiedliche Meinungen. Die einen sagen, man sollte niemals zerstritten auseinandergehen, die anderen finden das nicht problematisch. Mancher gab an, nur sachlich zu streiten – dies kann schwierig sein, wenn es um emotional berührende Themen geht. Es gibt viele Spannungsfelder bezogen auf das ?richtige“ Streiten. Was als richtig empfunden wird, h?ngt von der Situation und dem Gegenüber ab. Wichtig ist, beim Streiten ein Interesse für den anderen zu haben, sich zu zeigen mit den eigenen Bedürfnissen, aber auch Grenzen. Wir nennen das ?Denken in Dilemmata“, ein Sowohl-als auch von sachlicher Argumentation, sich aber auch als Mensch mit seinen Emotionen zu zeigen. Hier gilt es, eine Balance zu finden. Beim Streiten reagieren wir aufeinander, es kann leicht zu Wechselwirkungen kommen: Ich interpretiere ein Verhalten, ein Stirnrunzeln, das vielleicht gar nicht negativ gemeint war.

Wichtig ist auch, sich ein Scheitern zuzugestehen. Es genügt oft, wenn ich den anderen nach dem Streit ein bisschen besser verstehe und nachvollziehen kann, worum es ihm geht. Dazu brauchen wir Gro?herzigkeit Fehlern gegenüber. Denn beim Streiten gibt es kein objektives ?Richtig“.
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Was ist, wenn das Streiten überhandnimmt?

Boeser: Das Austragen von Meinungsverschiedenheiten auf Dauer ist sicherlich nicht sch?n. Gleichzeitig geht es nicht ohne Streit. Wie ein Streit empfunden wird, h?ngt vom einzelnen Menschen ab. Manche empfinden schon kleine Auseinandersetzungen als feindseligen Streit, andere sind weniger davon berührt.
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Kann man Streiten lernen?

Boeser: Streiten l?sst sich lernen, indem man es immer wieder übt. Und: Man kann trotz eines erlebten Streits wieder zueinander finden. Was man braucht, ist ein grunds?tzliches Vertrauen und das Wissen darüber: Ich kann in den Diskurs gehen und es funktioniert meistens ganz gut. Falls nicht, habe ich die F?higkeit, es erneut zu versuchen. Eine M?glichkeit ist, sich biographisch mit dem Thema Streit auseinanderzusetzen und die eigenen Glaubenss?tze zu hinterfragen. Denn andere Menschen haben oft andere Glaubenss?tze. Ein Weg kann auch sein zu lernen, zuzuh?ren, worum es dem anderen geht. Und eine gewisse Ambiguit?tstoleranz kann hilfreich sein, um die Spannungen auszubalancieren.

Mit dem Projekt ?Streitf?rderer“ gehen wir genau diese Frage an, n?mlich besser zu streiten als gesellschaftliche Aufgabe anzusehen.

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?ber Dr. Christian Boeser

Dr. Christian Boeser ist Akademischer Oberrat am Lehrstuhl für P?dagogik mit Schwerpunkt Erwachsenen- und Weiterbildung. Er lehrt und forscht an der Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakult?t der Universit?t Augsburg.

Projekt "Streit/f?rderer"

Zur Bundestagswahl im Februar 2025 hat Dr. Christian Boeser im Rahmen des Wertebündnisprojekts STREIT/F?RDERER die Aktion STREIT/GEIST ins Leben gerufen: Mit der Aktion sollen Menschen ermutigt werden, die eigene Meinungsblase zu verlassen und den wertsch?tzenden, offenen Streit mit Andersdenkenden zu lernen. Zur Unterstützung gibt es ab 9. Januar 2025 bis zur Bundestagswahl am 23. Februar 2025 jeden Abend einen virtuellen Trainingsraum fürs Streiten. ?Wir m?chten, dass die Bürgerinnen und Bürger vor der Wahl in den offenen Austausch gehen“, sagt der Forscher.

Problematisch seien scharfe Polarisationen innerhalb der Gesellschaft – diesen soll mit der Aktion entgegengewirkt werden. Weitere Informationen finden Interessierte auf der Webseite des Forschers: www.streitfoerderer.de

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