INspiRE Jean-Monnet-Centre of Excellence - Rechtsprechungskomplexe: Fliesen-Rechtsprechung
Fliesen-Rechtsprechung
Der BGH befasst sich im so genannten Fliesenfall mit der teleologischen Reduktion im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts. Der BGH musste entscheiden, ob nach § 439 Abs. 2 BGB (Fassung vom 1.1.2002) der Verk?ufer einer mangelhaften Kaufsache im Zuge der Nachbesserung die Kosten des Ausbaus und Abtransport tragen muss und wann dem Verk?ufer die Einrede der Unverh?ltnism??igkeit gem?? § 439 Abs. 3 BGB a.F. zusteht.
Auch nach Art. 3 Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hat der Verk?ufer einer Verbrauchssache das Recht, bei unverh?ltnism??igen Kosten die Nacherfüllung zu verweigern. Allerdings war unklar, inwieweit der Begriff der Unverh?ltnism??igkeit im deutschen und europ?ischen Sinne deckungsgleich ist.
Daher legte der BGH dem EuGH im Vorabentscheidungsverfahren die Frage vor, ob die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 und 2 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie der deutschen Regelung entgegenstehen, wonach der Verk?ufer die vom Verbraucher verlangte Art der Abhilfe auch dann verweigern kann, wenn sie ihm Kosten verursachen würden, die verglichen mit dem Wert, den das Verbrauchsgut ohne die Vertragswidrigkeit h?tte, und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit unzumutbar (absolut unverh?ltnism??ig) w?ren und ferner, ob der Verk?ufer im Zuge der Nachbesserung auch Ein- und Ausbaukosten zu tragen hat.
Derr EuGH entschied, dass Art. 3 Abs. 2 und 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie dahin auszulegen sind, dass Verk?ufer entweder die Kosten für den Aus- und Einbau tragen muss oder diesen selbst vornehmen muss. Dem Verk?ufer steht ferner kein Recht zu Verweigerung der Ersatzlieferung wegen absoluter Unverh?ltnism??igkeit zu, er kann aber die Kostenerstattung für den Ein-und Ausbau auf einen angemessenen Betrag beschr?nken.
Der BGH berücksichtigte das Urteil entsprechend und entschied, dass der Verk?ufer in richtlinienkonformer Anwendung des § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB auch Ein- und Ausbaukosten zu tragen hat und dass § 439 Abs. 3 S.3 BGB auf ein Verweigerungsrecht in F?llen relativer Unverh?ltnism??igkeit teleologisch reduziert werden muss.
Der deutsche Gesetzgeber reagierte mit einer Neufassung u.a. der §§ 439, 474 und 475 BGB per Gesetz vom 28.4.2017 (BGBl. I, S. 969), sodass die teleologische Reduktion nun auch gesetzlich umgesetzt wurde (BT-Drs. 18/8486 S. 43 f.). Dabei ist der Gesetzgeber sogar über die Anforderungen des EuGH hinausgegangen, indem er einen Teil der Rechtsprechung in das regul?re Kaufrecht aufnahm und damit über das Verbraucherschutzrecht hinaus ausdehnte.
Zur Fliesen-Entscheidung vergleiche auch M?llers, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl., München 2019, § 12 Rn. 113, § 15 Rn. 40 ff. Allgemein zur Methodik des Europarechts siehe M?llers, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl., München 2019, § 12.
Zu einer entsprechenden Entscheidung des OGH siehe ebenfalls Heizk?rper-Rechtsprechung:
Heizk?rper-Rechtsprechung
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Urteile
BGH, Urt. v. 21.12.2011, VIII ZR 70/08 – Fliesen = BGHZ 192, 148-172; ZIP 2012, 430-437; BB 2012, 792-797; NJW 2012, 1073-1080; CR 2012, 221-224; BauR 2012, 793-803; JZ 2012, 468-473; VuR 2012, 154-156: ZfBR 2012, 341-348; VersR 2012, 623-629; RIW 2012, 313-319; WM 2012, 1143-1150; DNotZ 2012, 671-683
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EuGH, Urt. v. 16.6.2011, C-65/09 und C-87-09, EU:C:2011:396 – Gebr. Weber GmbH gegen Jürgen Wittmer (C-65/09) und Ingrid Putz gegen Medianess Electronics GmbH (C-87/09)
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